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Kategorie: IT + Medien Unternehmen + Steuern
| 13:35 Uhr

BVerfG: Bezeichnung "rechtsradikal" kann zulässige Meinungsäußerung sein


Eine Person in einem Internetforum in Auseinandersetzung mit deren  Beiträgen als „rechtsradikal“ zu betiteln, ist ein Werturteil und  grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dies entschied das  Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss vom  17. September 2012 und hob daher die angegriffenen Unterlassungsurteile  auf.

Es obliegt nun den Zivilgerichten, das Grundrecht auf  Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit dem allgemeinen  Persönlichkeitsrecht der kritisierten Person abzuwägen.  Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:  1. Der im zivilrechtlichen Ausgangsverfahren auf Unterlassung klagende  Rechtsanwalt beschäftigte sich auf seiner Kanzleihomepage und in  Zeitschriftenveröffentlichungen mit politischen Themen. Er schrieb unter  anderem über die „khasarischen, also nicht-semitischen Juden“, die das  Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmten, und über den  „transitorischen Charakter“ des Grundgesetzes, das lediglich ein  „ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte“ sei. 

Der Beschwerdeführer, ebenfalls Rechtsanwalt, setzte sich in einem  Internet-Diskussionsforum mit diesen Veröffentlichungen auseinander: Der  Verfasser liefere „einen seiner typischen rechtsextremen originellen  Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen  bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei“. Wer meine,  „die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden  beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen“, müsse „es sich  gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden“. 

Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilten den  Beschwerdeführer zur Unterlassung der Äußerungen, wobei das Landgericht  sie teilweise als unwahre Tatsachenbehauptungen und das  Oberlandesgericht sie als Schmähkritik aus dem Schutzbereich der  Meinungsfreiheit herausfallen ließen. Das Bundesverfassungsgericht hat  beide Urteile aufgehoben und die Sache an das Landgericht  zurückverwiesen.  2. Diese Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf  Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).  a) Es handelt sich um Meinungsäußerungen in Form eines Werturteils, denn  es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag  „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen  verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich  gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“.  b) Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit werden verkannt, wenn  eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung  oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im  selben Maß am Grundrechtsschutz teilnimmt wie Äußerungen, die als  Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind. 

Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert, da bei ihrem  Vorliegen schon jede Abwägung mit der Meinungsfreiheit entfällt. Eine  Schmähkritik ist nicht einfach jede Beleidigung, sondern spezifisch  dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der  Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies  kann hier aber nicht angenommen werden, denn alle Äußerungen haben einen  Sachbezug.  c) Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der  Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem Allgemeinen  Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers. Das Ergebnis dieser  Abwägung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Abwägung  muss das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass  der Unterlassungskläger weder in seiner Intim- noch in seiner  Privatsphäre betroffen ist, sondern allenfalls in seiner Sozialsphäre.  Dagegen ist die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers in ihrem Kern  betroffen. Die Verurteilung zur Unterlassung eines Werturteils muss im  Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum  Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Der  Unterlassungskläger hat seine Beiträge öffentlich zur Diskussion  gestellt; dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine  inhaltliche Diskussion möglich sein. 

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG v. 13.11.2012