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Kategorie: Unternehmen + Steuern
| 09:24 Uhr

Durchsuchung der Geschäftsräume eines Rundfunksenders verfassungswidrig


Der Beschwerdeführer, ein eingetragener Verein, betreibt einen lokalen
Rundfunksender. Im Rahmen einer von ihm im Oktober 2003 ausgestrahlten
Sendung wurde ein Beitrag gesendet, der sich mit angeblichen Übergriffen
von Polizeibeamten bei einer Demonstration beschäftigte. Ein unbekannt
gebliebener Moderator spielte die Mitschnitte von zwei Telefongesprächen
ein, die zwischen einem Pressesprecher der Polizei und einer Person
geführt worden waren, die sich in den Telefongesprächen als ein
Mitarbeiter des Senders mit Namen vorgestellt hatte. Auf die
Strafanzeige des Landeskriminalamtes leitete die Staatsanwaltschaft ein
Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung
der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 StGB) ein; nach dem
Bekunden des Pressesprechers sei eine Aufzeichnung der Telefongespräche
nicht vereinbart worden.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht die
Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschwerdeführers an. Es lägen
begründete Tatsachen für die Annahme vor, dass die Durchsuchung zum
Auffinden von Beweismitteln führen werde, insbesondere des die Gespräche
wiedergebenden Tonträgers, sowie von Unterlagen, die Aufschluss über die
Identität des Anrufers und der weiteren Verantwortlichen gäben. Das
Landgericht wies die hiergegen erhobene Beschwerde als unbegründet
zurück. Der Durchsuchungsanordnung stehe im Hinblick auf den gesuchten
Tonträger und die Unterlagen nicht das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs.
5 StPO entgegen. Sie sei auch nicht unverhältnismäßig, da es sich bei §
201 StGB nicht um ein Bagatelldelikt handele und die Durchsuchung keinen
schweren Eingriff in den Sendebetrieb des Beschwerdeführers darstelle.

Im Zuge der Durchsuchung wurden Grundflächenskizzen und Lichtbilder von
allen Räumlichkeiten der Rundfunkanstalt angefertigt sowie ein Notizbuch
und diverse Aktenordner mit Redaktionsunterlagen sichergestellt, von
denen die Staatsanwaltschaft vor ihrer Rückgabe an den Beschwerdeführer
teilweise Kopien fertigte. Während der Durchsuchung gab sich ein
Mitarbeiter des Beschwerdeführers als Anrufer zu erkennen.

Die Anträge des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit
der vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen sowie auf Vernichtung der
gefertigten Skizzen, Lichtbilder und Kopien wies das Amtsgericht durch
weiteren Beschluss zurück; die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor
dem Landgericht ohne Erfolg.

Der beschuldigte Mitarbeiter wurde wegen der Verletzung der
Vertraulichkeit des Wortes unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 18,00 € verwarnt. Von der
Strafverfolgung hinsichtlich eines weiteren Beschuldigten, der im Zuge
der Durchsuchung eingeräumt hatte, an der Ausstrahlung der Radiosendung
beteiligt gewesen zu sein, wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO wegen
Geringfügigkeit abgesehen.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 1739/04 wendet sich
der Beschwerdeführer gegen die Anordnung der Durchsuchung seiner
Redaktionsräume. Seine Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2020/04
richtet sich gegen die Entscheidungen, mit denen die Art und Weise der
Durchführung der Durchsuchung sowie die Sicherstellung bzw.
Beschlagnahme seiner Redaktionsunterlagen bestätigt wurden. Er rügt
unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf Rundfunkfreiheit
aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in
beiden Verfahren - im Verfahren 1 BvR 2020/04 zumindest überwiegend -
die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie den
Beschwerdeführer in seiner Rundfunkfreiheit verletzen. Die Sache ist
jeweils zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen
worden.

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit schützt in seiner objektiven
Bedeutung die institutionelle Eigenständigkeit des Rundfunks von der
Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und
Meinungen. Von diesem Schutz ist auch die Vertraulichkeit der
Redaktionsarbeit umfasst, die es staatlichen Stellen grundsätzlich
verwehrt, sich einen Einblick in die Vorgänge zu verschaffen, die zur
Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse
gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden. Unter das Redaktionsgeheimnis
fallen auch organisationsbezogene Unterlagen, aus denen sich
Arbeitsabläufe, Projekte oder die Identität der Mitarbeiter einer
Redaktion ergeben. Sowohl die Anordnung der Durchsuchung der Räume des
Beschwerdeführers als auch die fachgerichtlichen Entscheidungen, die die
bild- und skizzenhafte Dokumentation der Redaktionsräume und die
Mitnahme redaktioneller Unterlagen sowie die Anfertigung von
Ablichtungen hiervon als rechtmäßig erachten, greifen daher in die
Rundfunkfreiheit ein.

Diese Eingriffe sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

1. Die im Verfahren 1 BvR 1739/04 angegriffenen Entscheidungen zur
Anordnung der Durchsuchung lassen eine tragfähige Beurteilung der
Verhältnismäßigkeit der angeordneten Durchsuchung vermissen. Nicht zu
beanstanden ist zwar die Annahme, dass ein die Durchsuchungsanordnung
hinderndes Beschlagnahmeverbot in den Räumen der Rundfunkanstalt des
Beschwerdeführers jedenfalls gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3
StPO entfallen sei, weil einzelne Mitarbeiter der Teilnahme an der
Straftat verdächtig seien. Jedoch ist auch dann, wenn im Einzelfall die
pressespezifischen Beschlagnahmeverbote der Strafprozessordnung nicht
greifen, im Zuge der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung den
Ausstrahlungswirkungen der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
Rechnung zu tragen. Dies verlangt eine tragfähige Gewichtung des sich
auf die konkret zu verfolgenden Taten beziehenden
Strafverfolgungsinteresses einerseits und der mit der Durchsuchung
verbundenen Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit andererseits. Dem
genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht, da sie sich darauf
beschränken, zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung
das Strafverfolgungsinteresse nur abstrakt zu bestimmen und ihm allein
die tatsächlichen Behinderungen der Sendetätigkeit gegenüberzustellen.
Vielmehr wäre zum einen das Interesse an der Verfolgung der konkreten
Tat zu gewichten gewesen, weil diese nicht offensichtlich so schwer
wiegt, dass sie ohne Weiteres erhebliche Eingriffe in die
Rundfunkfreiheit rechtfertigen kann. Zum anderen wären zur Gewichtung
der Schwere des Eingriffs in die Rundfunkfreiheit nicht nur die
tatsächlichen Behinderungen der Sendetätigkeit zu berücksichtigen
gewesen, sondern auch die Auswirkungen der strafprozessualen Maßnahmen
auf das Medienorgan als solches. Insbesondere ist zu erwägen, ob die
Ermittlungsmaßnahme auf die räumliche Sphäre einzelner Journalisten
beschränkt werden kann oder ob sie sich zwangsläufig auf eine gesamte
Redaktion erstrecken muss. Die Durchsuchung der Räume eines
Rundfunksenders hat regelmäßig eine Störung des Vertrauensverhältnisses
der Rundfunkanstalt zu ihren Informanten zur Folge. Zudem kann von einer
uneingeschränkten Durchsuchung eine erhebliche einschüchternde Wirkung
auf das betroffene Presseorgan ausgehen, die geeignet sein kann, die
Bereitschaft der Redaktion oder einzelner an der Tat nicht beteiligter
Redaktionsmitarbeiter erheblich zu beeinträchtigen, in Zukunft auch
staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand kritischer Recherchen und
Berichterstattung zu machen.

2. Die Ermittlungsbehörden sind ebenso gehalten, eine übermäßige
Beeinträchtigung der Rundfunkfreiheit durch den Vollzug der Durchsuchung
eines Rundfunksenders zu vermeiden.

Soweit die im Verfahren 1 BvR 2020/04 angegriffenen Entscheidungen die
Anfertigung von Ablichtungen der mitgenommenen Redaktionsunterlagen als
rechtmäßig billigen, sind sie mit dem Grundrecht des Beschwerdeführers
auf Rundfunkfreiheit nicht vereinbar, da den von ihr umfassten Belangen
im Zuge der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht
hinreichend Rechnung getragen worden ist. Es ist zwar nicht zu
beanstanden, dass die Fachgerichte die Beschlagnahme der Unterlagen zur
Aufklärung der Identität der an der Radiosendung beteiligten Personen
für erforderlich gehalten und den Ablichtungen eine hinreichende
Beweisbedeutung für das Ermittlungsverfahren beigemessen haben. Ebenso
war es hier wiederum vertretbar, das Vorliegen eines pressespezifischen
Beschlagnahmeverbotes nach § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO zu
verneinen. Mit dieser Prüfung durfte es aber nicht sein Bewenden haben.
Wie im Verfahren 1 BvR 1739/04 fehlt es auch hier an der gebotenen
Angemessenheitsprüfung. Hierbei hätte neben der eher geringen Schwere
der konkreten Tat berücksichtigt werden müssen, dass sich ein
Mitarbeiter des Beschwerdeführers während der Durchsuchung bereits zu
seinen Handlungen bekannt hatte. Ebenso ist nicht ersichtlich, ob die
Fachgerichte andererseits die erhebliche Beeinträchtigung des von Art. 5
Abs. 1 Satz 2 GG umfassten Schutzes der Vertraulichkeit der
Redaktionsarbeit, die mit einer beschlagnahmeersetzenden Ablichtung von
Unterlagen über Arbeitsweise und Mitarbeiter zweier
Redaktionsabteilungen eines Rundfunkunternehmens einhergeht, in die
Abwägung einbezogen haben.

Auch soweit die Fachgerichte die Anfertigung der Lichtbilder und
Grundflächenskizzen der durchsuchten Räume für rechtmäßig erachtet und
die entsprechenden Löschungsanträge deshalb abgewiesen haben, sind die
Entscheidungen mit der Rundfunkfreiheit des Beschwerdeführers nicht
vereinbar. Zum einen ist die Erforderlichkeit einer ausführlichen
Dokumentation, die Fotografien und Skizzen von allen Räumen des Senders
umfasste, nicht ersichtlich. Selbst die Relevanz einer Dokumentation des
Fundortes der sichergestellten Aktenordner ist den angegriffenen
Entscheidungen nicht zu entnehmen; dieser ist vielmehr in den
gefertigten Skizzen gar nicht vermerkt worden. Zum anderen haben die
Fachgerichte auch hier bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der
Ermittlungsmaßnahmen die mit ihr verbundenen Beeinträchtigungen der
grundrechtlich geschützten Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit nicht in
ihre Abwägung eingestellt.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG v. 5.1.2011