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Kategorie: Unternehmen + Steuern
| 00:00 Uhr

Kunstfreiheit schlägt Urheberrecht: Zeitung muss Abdruck von Artikeln in einem Buch dulden


Der Beklagte, ehemaliger Direktor des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt, verfasste
nach seiner Pensionierung vier Bücher. In den ersten drei Büchern stellte er seine
Familiengeschichte, seine persönliche Geschichte und die Geschichte des Aufbaus
der Gerichtsbarkeit nach der Wende und ihrer “Aufbauhelfer” aus dem Westen dar.
Im Jahre 2009 erschien das vorerst letzte Buch der Reihe unter dem Titel “Blühende
Landschaften”. In dieses Buch, das sich mit politischen und sozialen Erscheinungen
in seinem Gerichtssprengel und in diesem Zusammenhang auch kritisch mit der Rolle
der Presse auseinandersetzt, bezog der Beklagte Zeitungsartikel und Lichtbilder
ein, die in den Jahren seiner richterlichen Tätigkeit in der Märkischen Oderzeitung
(MOZ) erschienen waren.

Die MOZ sah in dem Abdruck ihrer Artikel, für den sie eine Einwilligung nicht erteilt
hatte, eine Verletzung ihr zustehender Urheberrechte. Sie klagte deshalb vor dem
Landgericht Potsdam auf Unterlassung des ihrer Auffassung nach verbotenen Abdrucks;
darüber hinaus stellte sie weitere Anträge, mit denen die Geltendmachung
eines ihr durch die unerlaubte Veröffentlichung entstandenen Schadens vorbereitet
werden sollte.

Das Landgericht Potsdam hat u. a. der Unterlassungsklage stattgegeben. Dagegen
hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat
mit am heutigen Tag verkündetem Urteil das landgerichtliche Urteil abgeändert und
die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ausgeführt, zwar habe
der Beklagte in die urheberrechtlich geschützte Position der MOZ eingegriffen. Dieser
Eingriff sei jedoch durch die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerte
Kunstfreiheit geschützt. Der Beklagte habe mit seinem Buch “Blühende Landschaften”
ein literarisches Werk, damit ein Werk der Kunst, geschaffen. Er habe sich bei
der Darstellung einer künstlerischen Technik, nämlich der literarischen Collage bzw.
der Montage inhaltlich und stilistisch unterschiedlicher Texte und Anschauungsobjekte
bedient. Die Artikel und Lichtbilder habe er verwandt, um die politische und soziale
Atmosphäre im Rahmen der dargestellten Ereignisse erfahrbar zu machen. In einem
solchen Fall müsse das Urheberrecht kunstspezifisch ausgelegt und angewendet
werden, wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden habe. Unter Berücksichtigung
der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung habe der Beklagte die in
Streit stehenden Zeitungsartikel und Lichtbilder in seinem Buch verwenden dürfen.
Dem Eingriff in das Urheberrecht der MOZ komme nur geringes Gewicht zu. Die Artikel
und Lichtbilder beträfen Tagesereignisse aus weit zurückliegenden Jahren. Ihr
wirtschaftlicher Wert sei zum überwiegenden Teil durch die damalige Veröffentlichung
erschöpft.

Der Beklagte habe auch nicht die Erlaubnis der MOZ zur Einbeziehung der Artikel
und Lichtbilder in sein Buch einholen müssen. Die künstlerische Freiheit des Beklagten
dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass er in der Wahl der von ihm zur
Gewinnung des beabsichtigten Ausdrucks als erforderlich angesehenen Mittel dadurch
eingeschränkt werde, dass er auf die Einwilligung der Klägerin angewiesen
sei.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof
zugelassen.
(Urteil vom 9.11.2010 – 6 U 14/10)

Quelle: Pressemitteilung des OLG Brandenburg v. 9.11.2010