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Kategorie: Arbeit + Personal
| 11:17 Uhr

Arbeitsrecht: Verpflichtende Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer – aber nicht zwingend elektronisch

von Rechtsanwältin Stephanie Schunk


Nachdem bekannt geworden ist, dass sich das Bundesarbeitsgericht am 13.09.2022 (1 ABR 22/21) der Rechtsprechung des EUGH zur generellen Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit angeschlossen hat, sahen Arbeitsrechtler und Personaler mit einem gewissen Maß an Unsicherheit der Urteilsbegründung entgegen.

Unsicherheit deshalb, weil der EUGH (14.05.2019 – C-55/18) aufgrund der Arbeitszeitrichtlinie und der Arbeitsschutzmaßnahmenrichtlinie entschied, dass ein Arbeitszeiterfassungssystem für alle Arbeitnehmer erforderlich ist, was zudem auch kontrollierbar sein muss.  

Was galt bisher?

Grundsätzlich ist die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit im Arbeitsrecht nicht neu. Schließlich befindet sich eine Aufzeichnungspflicht bereits seit längerem in verschiedenen Wirtschaftszweigen wie z.B., dem Bau- oder Gaststättengewerbe (§ 2 a SchwarzArbG) oder bei Arbeitnehmern die einen Bruttoverdienst unter 2.958,00 EUR haben (§ 17 MiLoG). Außerdem mussten bisher angefallene Überstunden aufgezeichnet werden (§§ 16 II, 3 ArbZG).

Vorgabe des EUGH – zwingende Arbeitszeiterfassung

Der EUGH stellte klar, dass eine reine Messung der Arbeitszeit, also die alleinige Angabe der täglichen Arbeits- sowie Überstunden (z.B. 8,5 Stunden), nicht ausreicht. Vielmehr muss auch die Lage der Arbeitszeit (Beginn und Ende und auch Beginn und Ende der jeweiligen Pausen) kontrollierbar aufgezeichnet werden. Dies hat seinen Grund darin, dass nur so die Pauseneinhaltung, die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten und der zwischen der Arbeitszeit liegende Ruhezeit nachvollziehbar kontrolliert werden kann.

Genau deshalb befand der EUGH dass diese Kriterien durch eine elektronische Zeiterfassung erfüllt sind.  Der EUGH hob aber hervor, dass die Vorgaben der jeweiligen Richtlinien durchaus noch Spielräume bei der Ausgestaltung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung für das nationale Recht eröffnen.

Entscheidung des BAG

Da der EUGH nach dem Unionsrecht zu dem Ergebnis kam, dass eine Stechuhr die Vorgaben Zeiterfassung erfüllt, bestand die Besorgnis, das BAG könne entscheiden, dass jeder Betrieb zur Unterhaltung eines elektronischen Zeiterfassungssystems verpflichtet sei. In dem hier entschiedenen Fall war es der Betriebsrat der die Einführung eines solchen elektronischen Zeiterfassungssystems durch sein (vermeintliches) Initiativrechts einführen wollte.

Das BAG hat insoweit (abgekürzt) festgestellt, dass die Frage, ob eine Zeiterfassung eingeführt wird, nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, da sich eine entsprechende Pflicht bereits aus dem Gesetz ergebe.

Wie begründet das BAG die Aufzeichnungspflicht?

Das BAG begründet die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit – ähnlich wie der EUGH, der sich auch vornehmlich auf die Arbeitsschutzrichtlinie bezogen hat – auf § 3 II Arbeitsschutzgesetz und nicht auf die Regelungen im Arbeitszeitgesetz.  

§ 3 II ArbSchG wurde seinerzeit aufgrund der Richtlinienumsetzung zum Arbeitsschutzrichtlinie eingeführt, Das Arbeitsschutzgesetz nennt die Arbeitszeit in § 5 III ArbSchG auch als möglichen Gefährdungsfaktor.

Was bedeutet die Anwendbarkeit von § 3 ArbSchG für die Praxis?

Bei Betrachtung des Gesetzestextes des § 3 ArbSchG hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die „erforderlichen Mittel“ bereitzustellen, sowie „Vorkehrungen zu treffen“, dass diese Maßnahmen eingehalten werden und die Arbeitnehmer ihren Mitwirkungspflichten nachkommen.

Der nach dem BAG anzuwendende § 3 ArbSchG besagt also, dass jeder Betrieb verpflichtet ist, die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers aufzuzeichnen bzw. eine geeignete Organisationsform hierfür bereit zu stellen. Dem Betrieb ist es aber selbst überlassen, welche „geeignete Organisationsform“ er für diese Arbeitszeiterfassung wählt, ob er also eine Stechuhr – oder aber eine andere geeignete Organisationsform vorhält (wie z.B. Stift und Papier mit einem Ausfüllhinweis). Der Arbeitgeber darf diese Aufzeichnungspflicht an seine Mitarbeiter delegieren, wobei er diese anhalten und kontrollieren muss, die Arbeitszeit zu dokumentieren.

Für welche Arbeitnehmer gilt die Aufzeichnungspflicht?

Die Gruppe der Personen, deren Arbeitszeit aufzuzeichnen ist, ist größtenteils in § 2 I ArbSchG aufgelistet – nahezu alle Arbeitnehmer bis auf Hausangestellte privater Haushalte.

Während im Arbeitszeitgesetz die leitenden Angestellten gem. § 18 ArbZG ausdrücklich ausgenommen wurden, ist eine solche Ausnahme im Arbeitsschutzgesetz gerade nicht vorgehen. Berücksichtigt man jedoch, dass sich der EUGH sowohl die Arbeitszeitrichtlinie als auch die Arbeitsschutzrichtlinie bezogen hat, und die leitenden Angestellten in Art 17 lit a der Arbeitszeitrichtlinie ausgenommen wurden, wäre es durchaus denkbar, dass auch leitende Angestellte künftig keine Aufzeichnungspflicht trifft – klargestellt ist dies aber noch nicht.

Die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer sogenannten Vertrauensarbeitszeit nach den Urteilen des BAG Und des EUGH aber nicht mehr möglich sein.

Was geschieht beim Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht?

Zuletzt stellt sich die Frage nach den Folgen, wenn Arbeitgeber keine geeignete Organisationsform der Arbeitszeiterfassung finden. Die Bußgeldvorschrift des § 25 ArbSchG verweist jedenfalls nicht unmittelbar auf § 3 II ArbSchG. Zunächst muss hier gem. § 22 III ArbSchG eine Behörde tätig werden. Anders wäre dies zu beurteilen, wenn sich die Arbeitszeiterfassungspflicht aus dem Arbeitsschutzgesetz ergeben hätte – bei einem Verstoß gegen § 16 II ArbZG würden empfindliche Strafen drohen.

Wir beraten Sie zu allen Fragestellungen rund um Zeiterfassung und Dokumentation. Setzen Sie sich gerne mit uns in Verbindung (Ansprechpartner: RA Johannes Zimmermann, Rechtsanwältin Stephanie Schunk)!